Saitenmaterial

Saiten - Werkstoffe

Die Saitenmaterialien der historischen Instrumente wurden schon immer an die Möglichkeiten der jeweiligen Epochen angepasst. Waren es in den Anfängen langfaserige Pflanzenstränge (Brennesseln, Flachs, Hanf) oder tierische Produkte wie Därme (von Schafen oder Ziegen), Sehnen (Rückensehnen von Rehen, Ziegen) und Haare (Pferdeschweif), so haben sich bis in unser aktuelles Zeitalter erst die Metalle (Bronze, Eisen und Silber) und dann die technischen (künstlichen) Werkstoffe etabliert.
Nur wenige der historischen Saitenmaterialien haben es bis in die Moderne geschafft und werden auch aktuell noch verwendet.
Das hat sicherlich auch seinen Grund darin, dass heutige Saiten bis auf den 10tel Millimeter genau konfektioniert und zudem präzise rund geschliffen (rektifiziert) werden, um klangliche Abweichungen annähernd auszuschließen.
In den letzten Jahren sind neue Werkstoffe hinzu gekommen (Nylgut, Karbon, BioCarbon) und einige "Altbekannte" wurden durch Neuanpassungen modernisiert (Nylon -> Tynex).




Nylon

ist der Markenname für Polyamid 6.6 (PA 6.6 = Polyhexamethylenadipamid) von DuPont. Eigentlich 1935 von Wallace Carothers erfunden als künstliche Faser für Damenstrumpfhosen, erlangte das Material ab 1938 einen größeren Durchbruch in Form von Angelsehnen und Reinigungsbürsten für Gewehrläufe. Nylon wird praktisch seit der Jahrtausendwende 2000 gar nicht mehr als Musiksaite verwendet. Lediglich bei einigen Instrumenten aus dem asiatischen Raum im untersten Preissegment kommt auch aktuell noch Nylon (unter dem Handelsnamen Dederon der ehemaligen DDR) als Saitenmaterial zum Einsatz.
Nylon nimmt etwa 3,2 % Luftfeuchtigkeit auf und hat einen Schmelzpunkt von ca. 250 Grad Celsius.
Spezifisches Gewicht 1140 kg/m³
Bruchlast 300 N/mm²




Bio-Nylon

ist ein neues Saitenmaterial von Aquila-Corde. Beschreibung dazu folgt ...




Tynex

ist ebenfalls ein Markenname von DuPont. Allerdings handelt es sich hier um Polyamid 6.12 (PA 6.12 = Polyhexamethylendodecandiamid). Jeder von uns benutzt das Material täglich in Form von Borsten an einer Zahnbürste (dann heisst der Produktname Tynex-A oder Herox).
Reden wir im Zusammenhang mit Instrumenten umgangssprachlich von Kunststoffsaiten, meinen wir Tynex-Saiten, auch wenn wir fälschlich Nylon sagen. Jedenfalls sofern es sich um halbwegs aktuelle Instrumente der letzten 20-30 Jahre handelt und wir uns in Europa befinden. Der Unterschied zwischen Nylon und Tynex ist zwar relativ klein aber trotzdem wichtig. Man sollte eine Nylon-Saite nicht einfach gedankenlos durch eine Tynex-Saite gleicher Stärke ersetzen. Durch das unterschiedliche, spezifische Gewicht (Tynex ist 73 kg/m³ leichter als Nylon) haben die Saiten bei gleicher Dicke eine unterschiedliche Zugspannung und Bruchlast! Oder anders herum - wenn man eine defekte Nylonsaite an seinem Instrument gegen eine Tynex-Saite austauschen möchte, ohne die Zugspannung zu verändern, wird die Tynex-Saite eine "Konfektionsgröße" dicker sein als die ausgetauschte Nylonsaite.
Tynex nimmt nur 1,4 % Luftfeuchtigkeit auf und ist damit deutlich stimmstabiler als Nylon. Der Schmelzpunkt liegt bei 220 Grad Celsius.
Spezifisches Gewicht 1067 kg/m³
Bruchlast 307 N/mm²




Karbon

besteht aus dem Compositmaterial PVDF. Polyvinylidenfluorid ist ein teilkristalliner, thermoplastischer Fluorkunststoff, der durch Polymerisation hergestellt wird. Somit hat das Saitenmaterial Karbon erst einmal nichts mit den schwarzen Karbonmatten aus dem Rennwagen- oder Flugzeugbau zu tun, die einem vielleicht als erste Assoziation in den Sinn kommen. Composit bezieht sich hier nicht auf unterschiedliche Materialien, sondern auf den unterschiedlichen Aufbau der Saite aus einem oder mehreren, fertigen (weisslichen) Saitenkernen, die in einem zweiten Produktionsschritt zur fertigen Saite "vergossen" werden. Bei Saiten ab 0,95 mm mit einer Lupe gut zu erkennen. Laienhaft könnte man sich das als "unterschiedlich verbackene Bereiche" vorstellen ;-)
Karbonsaiten sind aufgrund der höheren Materialdichte deutlich dünner als Nylon, Tynex oder Nylgut bei gleicher Saitenspannung. Durch den geringen Durchmesser ist die Saite flexibler (Saitensteifigkeit) und kann beim Anzupfen freier (und somit länger und auch obertonreicher) Schwingen. Zudem ist das Material deutlich strapazierfähiger als z.B. Tynex. Wenn heute eine keltische Harfe verkauft wird und es keine Darmsaiten sein sollen, sind häufig Karbonsaiten als "Standard" aufgezogen (beispielsweise Kürschner-Flourcarbon, Glissando Malisan oder KF-Savarez). Die Namensgleichheit der Typenbeschreibung "KF" bei Savarez-Saiten lässt mich vermuten, dass diese PVDF-Saiten ein Co-Branding der 1970 von Kureha erfundenen Karbonsaite sein könnten.
Karbon nimmt nur 0,46 % an Luftfeuchtigkeit auf.
Spezifisches Gewicht 1790 kg/m³
Bruchlast 413 N/mm²




Bio-Carbon / Sugarstring / Sipario

Wenn die Marketingabteilung freie Hand bekommt, wird es leider meistens nicht verständlicher.
BioCarbon ist ein technischer Werkstoff der erst einmal gar nichts mit dem Saitenwerkstoff Carbon und vom Grundsatz noch nicht einmal etwas mit einer Musiksaite zu tun hat. Bei BioCarbon wird eine technische Faser aus dem Pflanzenpolymer "Lignin" gewonnen (also ein BioPolymer), beispielweise aus Abfällen der Cellulose bei der Papierherstellung (Bericht) oder anderer holzartiger Biomasse.

Der Hersteller von Musiksaiten aus dem Bio-Werkstoff ist die italienische Firma Aquila-Corde. Nach eigenen Aussagen des Firmeninhabers wurde das Material 2018 von einem befreundeten Chemiker in Norditalien entwickelt. Vom Grundgedanken soll BioCarbon wie auch Nylgut als synthetischer, technischer Werkstoff eine Darmsaite ersetzen. Aquila-Corde fertigt die BioCarbon-Saiten aus dem Lignin des Zuckerrohr. Die hauseigene Marketingabteilung macht "Zuckersaiten" daraus. Und so nennen sich BioCarbon-Saiten von Aquila-Corde welche eigentlich als Darmersatz konzipiert sind "Sugar-Strings". Die neutrale Farbgebung ist Darm-Braun und trägt das Kürzel SHN. Für Harfen gibt es die Saiten auch eingefärbt in Rot (Typ SHR) und Blau (SHB).

Während diese Sugar-Strings als Ukulelen- und Gitarrensaiten schon eine Weile auf dem Markt sind, läßt seit Ende 2020 das Harfenbau-Konsortium Lyon&Healy/Salvi für sein neues Harfenmodell "Drake" diese Saiten in Lizenz fertigen. Die für dieses Francise neu geschaffene "Bio"-Produktfamilie zu der diese Saite gehört, nennt sich "Sipario" (frei übersetzt so viel wie "Vorhang-auf").

Die Saiten sind äußerlich ganz glatt und fühlen sich aus der Saitentüte erst einmal recht hart an. Im gespannten Zustand werden sie haptisch etwas weicher als die Nylgut- oder Tynex-Saiten. Der Farbton ist cremefarben (beige-braun). Nach eigenen Angaben des Herstellers ist das Saitenmaterial 18-24% flexibler als Karbon-Saiten (Savarez-Alliance). Dadurch dass die Saiten beweglicher sind, schwingen sie etwas freier und dadurch länger aus, was die Klangbrillianz und die Anregung von Obertönen begünstigt.

Feuchtigkeitsaufnahme wie Nylgut bei 0,1%.
Das spezifisches Gewicht habe ich mit 1316 kg/m³ ermittelt.
Bruchlast entsprechen dem Werkstoff Nylgut/Silkgut mit 360 N/mm².

Besonderheiten: Die Saitendicke stimmt ziemlich genau mit dem angegebenen Durchmesser überein (im Gegensatz zu Nylgut!). Im belasteten Spielzustand streckt sich die Saite noch ein klein wenig und wird ca. 8% dünner.




Bio-Kristal

ist ein neues Saitenmaterial von Aquila-Corde. Beschreibung dazu folgt ...




Nylgut / Silkgut / Nyltech

Nylgut ist der Markenname von Aquila-Corde für eine Saiten-Kunstfaser, die einer Darmsaite entspricht. Also synthetischer Darm aus Polybutylenterephthalat (PBT). Nylgut kommt klanglich sehr dicht an den warmen Sound von Darmsaiten heran und fühlt sich beim Spielen auch so an.  Allerdings kann Nylgut nur für Zupfinstrumente verwendet werden - für den Bogen eines Streichinstrumentes ist die Oberfläche von Nylgut zu glatt um es zuverlässig anregen zu können. Die erste Generation Nylgut (entwickelt 1997) war noch dentalweiß. Aktuelles Nylgut (New Nylgut) ist darm-farbig (braun-beige) und auf den ersten Blick nicht als Kunstfaser zu erkennen.
Mit einer Feuchtigkeitsaufnahme von 0,1 % ist Nylgut das stimmstabilste Saitenmaterial.

Silkgut / Nyltech ist ebenfalls Kunst-Darm von Aquila-Corde und entspricht Nylgut. Ursprünglich entstammt der Marketingname Silkgut aus der Entwicklung von Saitenmaterial für Ukulelen. Aquila-Corde produziert Silkgut als "Co-Branding" für Aurora und D'Addario (Ukulelen) sowie Bow Brand (Harfen/Salvi-Gruppe). Aus Marketing-Sichtweise ist Silkgut also quasi Nylgut, dass von Bow Brand, Aurora und D'Addario auf dem freien Markt unter dem Namen Silkgut (und Nyltech) vertrieben wird. Wohin gegen Aquila-Corde nur Nylgut selbst vermarktet.
Spezifisches Gewicht 1260 kg/m³
Bruchlast 360 N/mm²

Besonderheiten: Die Saitendicke für Nylgut/Silkgut wird nicht als realer Durchmesser angegeben, sondern als Darm-Äquivalent. Also die Angabe wie dick eine Darm-Saite bei gleichen Spezifikationen wäre, die man dann durch eben diese Nylgut-Saite ersetzt. Zudem ist der reale, messbare Durchmesser einer Nylgut-Saite schwer zu bestimmen. Im unbelasteten Zustand erscheint die Saite unverhältnismäßig dick. Wenn man die Nylgut-Saite unter Spannung setzt, dann "zieht" sie sich anfänglich wie ein Gummiband und wird dabei dünner. Erst wenn eine gewisse Mindestbelastung die Saite ausreichend gestreckt hat, verhält sie sich wie eine normale Saite. Für die Praxis im Umgang mit der Saite bedeutet es, das man den "errechneten" Saitendurchmesser eigentlich nie an der Saite selbst messen kann. Anfänglich ist sie deutlich dicker. Im belasteten Spielzustand wird sie ein klein wenig dünner sein.

Marketing-Verwirrung: Einige Jahre verkaufte Glissando ein Saitenmaterial namens "Nylgutsaite" mit ungewöhnlich hartem und steifen Anfassgefühl. Das ermittelte spezifische Gewicht, die matte Oberfläche und eine Brennprobe im Labor legen die Vermutung nahe, dass es sich um Perlon/Dederon/Timbrelle (PA 6) als Werkstoff handelt. Eine solche defekte Saite am Instrument sollte keinesfalls mit einer Nylgut oder Silkgutsaite von Aquila-Corde, Salvi/L&H oder Camac ausgetauscht werden, sondern bestenfalls durch eine Nylon-Saite (nicht Tynex sondern Nylon PA 6.6) im gleichen Durchmesser.




Darm

ist ein historisches Saitenmaterial, das sich auch heute noch einer sehr großen Beliebtheit erfreut. Darmsaiten haben einen typisch "warm-darmigen" Klang mit weniger "klirrendem" Obertonspektrum als andere Materialien. Zudem fasst sich die Saite beim Spielen haptisch sehr warm und weich an. Heutige Darmsaiten sind lackiert und bedürfen eigentlich keiner Pflege mehr. Frühere, unlackierte Saiten mussten dagegen ab und an geölt werden, damit sie geschmeidig bleiben. Im Laufe ihres Lebens frisseln Darmsaiten beim Spielen langsam auf und reißen öfter als Kunstsaiten. Besonders an der Stelle, an dem die Mechaniken und Umlenkstifte, Sattel, Bundstege einen sichtbaren, weisslichen Knick erzeugen.
Darmsaiten nehmen bis zu 20% Luftfeuchtigkeit auf und verstimmen sich deshalb gerne. Unlackierte Darmsaiten sogar bis 35% Luftfeuchtigkeit. Saiten historischer Instrumente bestehen meistens aus Ziegen-Darm. Heutzutage verwendet man Därme von Rindern. Während der BSE-Rinderseuche im Jahr 2000/2001 durften keine Tierdärme verarbeitet werden. Einige Darmsaitenhersteller haben diese Krise nicht überlebt, weshalb Darmsaiten stetig teurer werden.
Spezifisches Gewicht 1276 kg/m³
Bruchlast 358 N/mm²




Stahl

kennen wir als klassische Klaviersaite. Das spezifische Gewicht orientiert sich an den Röslau-Extra -Saiten. Die Zugfestigkeit dieses Klaviersaitenfederstahldrahtes mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,8% liegt bei 2350 bis 3090 N/mm². Das entspricht einer Bruchlast, die etwa 7 mal zugfester ist als Nylon, Tynex, Darm oder Karbon.
Spezifisches Gewicht 7867 kg/m³
Bruchlast 2350 N/mm²




Messing

genau genommen Gelbmessing (CuZn20 + CuZn30) wird als Saite im Cembalo eingesetzt. Rotmessing (CuZn05 - CuZn15) ist etwas dünner (weil schwerer) und klingt "feiner". Rotmessing kommt im Spinett zur Anwendung. Die Bruchlast (Zugfestigkeit) entspricht den Drähten von Vogel-Scheer und Wittmayer.
Spezifisches Gewicht 8550 kg/m³
Bruchlast 1036 N/mm²




Bronze

Phosphorbronze (CuSn6) wird gern auf Westerngitarren, Monochorden oder auf historischen Clarsachs gespielt. Bronze klingt nicht so "sirrend-metallisch" wie Stahl und erzeugt viel mehr "sphärische" Obertöne.
Spezifisches Gewicht 8820 kg/m³
Bruchlast 1046 N/mm²




Kupfer

ist hier in der Form der "blanken Saite" mehr als experimentelles Material im Saitenrechner. Eigentlich ist Kupfer zu weich und "zerfliesst" wenn man es unter Spannung setzt. Allerdings bestehen die meisten Umspinnungen der Bass-Saiten aus (versilbertem oder lackiertem) Kupferdraht.




Silber

Mittlerweile ist es historisch belegt, dass die vorderen Bass-Saiten altirischer Clarsachs aus Sterlingsilber (Ag 935) bestanden. Einige Freunde alter Metallsaitenharfen um Ann Heymann und Bill Taylor spielen wieder auf Silbersaiten (Silverstring-Report).




Gold

Feingold (Au 999) dürfte mittlerweile mehr eine Geldanlage sein. Es gab und gibt aber einige Harfen mit Bass-Saiten aus Gold. Goldsaiten sind sehr dünn - eine entsprechende Stahlsaite ist 3x dicker, eine Tynexsaite wäre fast 20x dicker. Für die Verwendung als Saite kommt allerdings kein Reingold (24 Karat) sondern eine Goldlegierung mit 18 Karat Gold (Au 750) zum Einsatz. Das Saitenmaterial besteht also zu 3/4 aus Gold. Das restliche Viertel kann aus Silber (dann sieht es grünlichgelb aus) oder Kupfer (schimmert orange - fast Rotgold) bestehen.
18 ct aus 75% Gold + 25% Silber = Au750Ag250 = spezifisches Gewicht 15900 kg/qm
18 ct aus 75% Gold + 25% Kupfer = Au750Cu250 = spezifisches Gewicht 14800 kg/qm




Aramid

wohl besser unter dem Markennamen Kevlar von DuPont bekannt, findet als Füllfaser (Kunstseide) bei umsponnenen Metallsaiten Verwendung. Aramid ist leicht gelblich und hitzebeständig bis 345 Grad.




Perlon

ist die deutsche Alternative zu Nylon. Entwickelt 1938 von der I.G. Farbenindustrie AG. Diese Kunststofffaser besteht aus Polyamid 6 (PA 6 = Polycaprolactam). Obwohl Perlon ein annähernd gleiches spezifische Gewicht wie Nylon aufweist und es sich vom Griffgefühl auch ähnlich anfasst, ist das Material von den Klangeigenschaften nicht "rein" genug für die Verwendung einer glatten Musiksaite. Nach dem Extrudieren "erstarrt" die Oberfläche leicht rauh/matt und hat leichte Lufteinschlüsse. Allerdings kommt es bei alpenländischen Volksharfen und Zithern als Umspinnungsmaterial der leichteren Bass-Saiten oft zum Einsatz. Umgangssprachlich reden wir dann von einem Nylon-Kern mit Nylon-Umspinnung - meinen aber einen Tynex-Kern mit Perlon-Umspinnung oder Aramid-Faserbündeln mit Perlon-Umspinnung.